Interview der Transferagentur Niedersachsen mit Dr. Rabea Pfeifer zur Konzipierung und Durchführung eines Bildungsmonitorings mit Mehrwert
Dr. Rabea Pfeifer, Politikwissenschaftlerin, ist für das ISA – Institut für soziale Arbeit e. V. tätig. Als stellvertretende Projektleitung im Kompetenzzentrum Bildung im Strukturwandel – Netzwerkbüro Bildung Rheinisches Revier verantwortet sie den Bereich Bildungsmonitoring und ist zudem stellvertretende Projektleitung der Transferagentur NRW.
Frau Dr. Pfeifer, Fachkräftesicherung ist ein wichtiges Thema und eine Herausforderung für Kommunen, insbesondere im ländlichen Raum. Warum bedarf es eines Bildungsmonitorings in der Fachkräftesicherung?
Wie bei anderen Themen auch ermöglicht das Bildungsmonitoring die Schaffung einer Wissensbasis, die als Ausgangspunkt für Interpretationen, Strategieentwicklung und Steuerung genutzt werden kann. Ein Bildungsmonitoring kann das drängende Thema der Fachkräftesicherung in der Kommune sichtbar machen, die kommunenspezifischen Merkmale herausarbeiten und so eine Grundlage für eine strategische Anpassung der kommunalen Bildungsstrategie mit dem Ziel der Fachkräftesicherung bieten. Um dies etwas plastischer darzustellen: Die Unterstützung der Fachkräftesicherung durch Bildungsstrategien ist nur dann möglich, wenn die Art und der Umfang des Fachkräftemangels sowie das Entwicklungsziel der Kommune bekannt sind. Beides kann und sollte durch ein Bildungsmonitoring unterstützt werden, denn die Analysen können nicht nur den tatsächlich vor Ort zu findenden Fachkräftebedarf darstellen. Bildungsmonitoring, das als Gesprächsanlass für eine inhaltlich involvierte und steuerungsrelevante Interpretationsgemeinschaft genutzt wird, ist ein zentrales Element der Entwicklung einer zielgerichteten kommunalen Bildungsstrategie. Der Mehrwert ist somit einerseits in der Bildung einer Wissensbasis in dem komplexen Themenfeld der Fachkräftesicherung zu sehen. Andererseits ist die Schaffung von Gesprächsanlässen in einem Themenfeld, in dem verschiedene Akteur:innen steuerungsrelevante Entscheidungen treffen können und müssen, von zentraler Bedeutung.
An welchen Stellen kann ein Monitoring im Handlungsfeld Fachkräftesicherung zum Einsatz kommen?
Bei der Fachkräftesicherung geht es darum einem Fachkräftemangel strategisch entgegenzuwirken. Demnach ist die erste Aufgabe, den Mangel transparent darzustellen. In welchen Berufssegmenten und in welchen Qualifikationsbereichen besteht bereits ein Mangel? An diesem Punkt kann eine Kommune auch durch die Darstellung von Entwicklungen und den Vergleich zum Bund oder dem Bundesland wichtige Informationen über die Spezifika des Fachkräftemangels in der jeweiligen Kommune erfahren. Dies kann aber nur die Basis darstellen, denn das Ziel muss sein, dem Mangel entgegenzuwirken und dafür ist ein etwas weiterer Blick als nur auf die Zahlen der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten notwendig. Einerseits ist innerhalb der Kommune zu eruieren, welche Entwicklungsziele es in der Kommune bezogen auf Fachkräfte gibt. Gibt es z. B. Auswirkungen von wirtschaftlichen Veränderungsprozessen, mit denen die Kommune konfrontiert ist? Oder gibt es eine bestimmte Branche, die in den nächsten Jahren gestärkt werden soll? Hier kann als Beispiel der Strukturwandel im Rheinischen Revier dienen, in dem der Braunkohleausstieg mit einer Stärkung der wasserstoffbasierten Energiegewinnung einhergeht. Parallel zu diesen spezifischen Strukturwandelprozessen sind durch die zentralen Entwicklungen des demografischen Wandels und der Digitalisierung in ganz Deutschland Mangelberufe erkennbar. Dies hat natürlich Konsequenzen für die zukünftige Ausrichtung der Bildungspolitik, denn Menschen in beruflicher Aus- und Weiterbildung sind die Fachkräfte von morgen. Wenn also nicht genug Altenpfleger:innen gefunden werden können, müssen hier Aus- und Weiterbildungsangebote sowie Umschulungsmaßnahmen geschaffen sowie das Interesse an diesen Berufen gestärkt werden.
Zusammengefasst muss also durch ein Bildungsmonitoring geprüft werden, ob die Angebote der Aus- und Weiterbildung so ausgestaltet sind, dass die Bedarfe gedeckt werden können. Gleichzeitig ist zu prüfen, ob die Angebote wahrgenommen wer- den und wenn nicht, woran das liegen kann. Gibt es z. B. eine bestimmte Gruppe junger Menschen, die in bestimmten Ausbil-
dungsbereichen unterrepräsentiert ist? Wenn ja, welche Möglichkeiten gibt es, durch zielgruppenspezifische Beratungs- und Orientierungsangebote einen besseren Zugang zu schaffen? Gleichzeitig gibt es viele Kommunen, bei denen der Fachkräftemangel nicht in der Beendigung oder der Stärkung einer Branche begründet ist, sondern durch den Wegzug von Fachkräften charakterisiert ist. Hier sind insbesondere die Wanderungsbewegungen der 18- bis 25-Jährigen und 26- bis 40-Jährigen zu analysieren. Wenn hier eine relevante Abwanderung festzustellen ist, sollten die Gründe eruiert werden. Auf diese vielfältige Weise kann ein Bildungsmonitoring der beruflichen Aus- und Weiterbildung sowie der Bildungsinfrastruktur dazu beitragen, dass eine Kommune eine zielgerichtete Bildungsstrategie zur Fachkräftesicherung entwickelt. Diese Bildungsstrategie ist wiederum die Grundlage für die Entwicklung von Maßnahmen, um das Ziel der Kommune zu erreichen. Selbstverständlich kann ein Bildungsmonitoring anschließend auch dazu dienen, zu überprüfen, ob die Maßnahmen auch die Ziele erreicht haben.
Was ist wichtig zu beachten bei der Konzipierung und Durchführung des Monitorings?
Beim Aufbau eines Bildungsmonitorings ist themenunabhängig der erste wichtige Schritt die Festlegung der Fragestellung und die Fokussierung, welcher Teil der Fragestellung anhand von quantitativen Indikatoren beantwortet werden kann. Es ist ratsam hier von Beginn an die Möglichkeiten eines Bildungsmonitorings klar zu benennen, denn in den wenigsten Fällen können komplexe Fragegestellungen zu Bildungsthemen durch quantitative Analysen abschließend beantwortet werden. Meist ist eine Mehrzahl an Analysen notwendig, um eine Wissensbasis zu schaffen, die anschließend von den kommunalen und fachlichen Expert:innen diskutiert, interpretiert und als Entscheidungsgrundlage für Maßnahmen genutzt werden kann. Hierbei ist eine frühzeitige Einbindung der relevanten Akteur:innen ausschlaggebend, da dies erfahrungsgemäß die Bereitschaft zur Steuerung anhand der Ergebnisse deutlich erhöht.
Wie können Kommunen relevante Daten und Informationen generieren? Welche Daten stehen z. B. auf Landesebene zur Verfügung und welche müssen kommunal erhoben werden?
Wie bereits deutlich wurde, ist der erste Schritt, um eine Strategie der Fachkräftesicherung zu entwickeln, die Feststellung und Spezifizierung des Fachkräftemangels. Hier kann auf Daten der Bundesagentur für Arbeit zurückgegriffen werden, um die unbesetzten Stellen nach Berufssegmenten den Arbeitslosen nach Berufssegmenten gegenüber zu stellen. Ebenso können hier die nicht besetzbaren Stellen nach Qualifikationsniveau angeschaut werden, um den konkreten Mangel festzustellen. Die Daten der Bundesagentur können auch genutzt werden, um Spezifika der lokalen Wirtschaft transparent darzustellen. Ein Weg wäre hier die Erstellung eines Lokalisationskoeffizienten, der das Verhältnis der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten eines Berufssegmentes zu allen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in der Kommune ins Verhältnis zu der gleichen Relation auf Landes- oder Bundesebene setzt (vgl. hierzu Netzwerkbüro Bildung Rheinisches Revier 2021). Ebenso relevant für das Verständnis des vor Ort vorherrschenden Fachkräftemangels ist die Analyse der Wanderungsbewegungen anhand der Bevölkerungsdaten der jeweiligen Landesämter. Sehr unterschiedlich ist die Bereitstellung der schulbezogenen Daten durch die Landesämter, die in NRW eine differenzierte Analyse der Berufsschulen ermöglicht. In Niedersachsen stellt das Kultusministerium ebenfalls verschiedene landesspezifische Daten zur Verfügung, z. B. „Die niedersächsischen berufsbildenden Schulen in Zahlen“ oder „Indikatoren zur Fachkräfteinitiative Niedersachsen“ (Landes- und Bundesebene). Auch an den Daten zeigt sich also wieder die Komplexität des Themas Fachkräftesicherung. Nicht nur, dass für sich schon sehr vielschichtige Themen wie der Standortfaktor Bildung, berufliche Aus- und Weiterbildung relevant sind für die bildungspolitische Strategieentwicklung zur Fachkräftesicherung. Hinzu kommt, dass insbesondere im Bereich der beruflichen Ausbildung viele verschiedene Steuerungs- und Analyseebenen eine Rolle spielen (siehe ebd.), die mit unterschiedlichen Kategorien arbeiten, die nicht immer kompatibel sind. Und auch hier kann ein Bildungsmonitoring eine zentrale Funktion erfüllen, da es ermöglicht, Kategorien miteinander in Verbindung zu setzen und so eine für alle relevanten Akteur:innen gemeinsame Wissens-, Diskussions- und Entscheidungsgrundlage zu schaffen.